Vor Jahrhunderten wurde in China eine außergewöhnliche Kunst entwickelt, die die Bereiche Gesundheit, Kampfkunst, Meditation und Lebensphilosophie auf besondere Weise verband: die Wing Chun-Lehre.
Um diese Bedeutung heute zu verstehen, bedarf es Hintergrundwissen: In einer Zeit, die permanent von Krieg und Konflikten geprägt war, war das Studium der Kampfkunst eine lebensnotwendige Notwendigkeit, die nichts mit Sport zu tun hatte.
Nach friedlicheren Zeiten, moderneren Waffen, aber auch dem stetigen Einfluss der westlichen Kultur im Zusammenhang mit der chinesischen Kulturrevolution gerieten wertvolle Kampfkunstsysteme immer mehr in Vergessenheit oder starben sogar aus. Bis heute ist die Modifikation der Kampfkünste kaum aufzuhalten. Die Intensität, der Schwierigkeitsgrad und der Sinn der Übungen werden kontinuierlich reduziert, um der schnelllebigen und oft oberflächlichen Lebensweise gerecht zu werden.
Komplexe, über Generationen gewachsene traditionelle Systeme werden immer fragmentierter. Die wahre Essenz der Kampfkünste konnte nicht mehr am Leben erhalten werden, da das Bildungsideal der alten Meister (die in China zur gesellschaftlichen Elite gehörten) nicht ausschließlich auf Kampfkünste reduziert wurde – es umfasste auch philosophische, künstlerische, wissenschaftliche und medizinische Studien. Hochentwickelte Kampfkünste degradierten zu einer weit verbreiteten turnerischen Tätigkeit. Der Kampfsportaspekt mit seinen hohen Anforderungen an die geistige und körperliche Leistungsfähigkeit verblasste allmählich.
Aus diesem Grund beschloss ein Großmeister des Wing Chun, Dr. Leung Jan (1826-1901), der das System bis zur Perfektion erlernte, die Weitergabe zu limitieren und es von der Öffentlichkeit weitestgehend fernzuhalten. So konnte es zwar in seiner Authentizität überleben, obgleich es von der Gesellschaft in Vergessenheit geriet. Warum er Übungen jedoch komplett herausgenommen oder beliebig verfälscht hatte, lässt sich nur schwer vermuten. Dies könnte darauf hinweisen sein, dass die wahren chinesischen Meister ihr Wissen nur zurückhaltend offenbaren wollten, denn oft waren sie der Meinung, die Bedeutung und der Wert eines solchen Einblickes würden nicht genügend geschätzt. So blieb der Wert vieler Übungen lange Zeit ausschließlich dem Meister vorbehalten.
Leider trennen sich die verschiedenen Wing Chun Linien immer weiter. Die wahren Kampfkünste werden immer mehr zerstückelt und teilweise neu zusammengesetzt, um den Vorstellungen des westlichen Marktes und der modernen, schnelllebigen Lebensweise gerecht zu werden. Unter ständigen Namensänderungen vorgestellt, scheint etwas gänzlich Neues verfügbar zu werden, was in Wirklichkeit ein Kunstprodukt aus den Scherben der alten Lehre stammt.
Diese einmal begonnene Aufspaltung des Wing Chun Systems führt bis in die heutige Zeit zu erheblichen Missverständnissen über dieses Kampfsystem. Heute kennt die Öffentlichkeit bevorzugt nur die sehr öffentlich gemachten (Ip Man) Wing Chun Künste. Einige ursprüngliche Wing Systeme blieben jedoch lange von der Gesellschaft verborgen.